Heidelberger Akademie der Wissenschaften begeht Jahresfeier - Paul Kirchhof hält Festvortrag

Presseeinladung

Heidelberg, 24. Mai 2013

Samstag, 25. Mai 2013, 11 Uhr, Alte Aula der Universität Heidelberg

 

Die Heidelberger Akademie der Wissenschaften, gegründet 1909, begeht ihre Jahresfeier am kommenden Samstag, dem 25. Mai 2013 um 11 Uhr in der Alten Aula der Universität Heidelberg. Paul Kirchhof, der seit April Präsident der Akademie ist, wird den Festvortrag mit dem Titel „Der Auftrag der Akademie in Zeiten kulturellen Umbruchs“ halten. Darin beleuchtet er im Speziellen die Rolle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften seit ihrem Gründungsauftrag und erläutert an ihrem Beispiel im Allgemeinen, warum die Aufgabe der Wissenschaftsakademien heute, in einer Zeit des kulturellen Umbruchs, als Vermittler von Erfahrungs- sowie Orientierungswissen unverzichtbar geworden ist.

 

Paul Kirchhof »Der Auftrag der Akademie in Zeiten kulturellen Umbruchs« (Zusammenfassung):

Die Heidelberger Akademie ist mit dem Auftrag gegründet worden, im Austausch der verschiedenen Forschungsbereiche „das Gemeinsame der gewonnenen Resultate zum Bewusstsein“ zu bringen, als „moderne Akademie“ (1909) die „Existenzbedingung und Kulturbedeutung“ der „lebendigen Mächte der Gegenwart“ zu untersuchen.
Die Heidelberger Akademie untersucht auch heute die Wirkungsweisen von Menschen, Naturgesetzen und Kulturbedingungen in einer Zeit des Umbruchs. Die moralische Kraft sinnstiftenden Denkens scheint geschwächt, der Mensch als Mitte der Welt in Frage gestellt, die Bindung der politisch Herrschenden an Regeln des Rechts deutlich gelockert.
In diesem kulturellen Umbruch bietet die Akademie ihr Wissen von Natur und Kultur der Politik und der Gesellschaft an. Sie vermittelt dabei wissenschaftliche Erkenntnisse, kann mehrheitlich allenfalls entscheiden, wenn eine wissenschaftliche Erkenntnisreife eine Aussage mit hohem Richtigkeitsanspruch erlaubt. Wissenschaft braucht Zeit, Sorgfalt beim Messen, Erfahren, Verstehen der Welt, Besonnenheit.
In der Umbruchzeit nach dem Zweiten Weltkrieg gelang eine elementare kulturelle Erneuerung, weil die Menschen einen gemeinsamen Willen zum Besseren hatten. Gleiches gilt für die Wiedervereinigung im Jahre 1989. Eine wissenschaftliche Akademie wird im heutigen Umbruch dazu beitragen können, dass unsere Gesellschaft in ihrem Erneuerungswillen zu einer gemeinsamen Vorstellung vom Besseren zurückfindet.
Die Akademie widmet sich besonders der Sprache, in der Menschen sich begegnen, die Welt begreifen, sich verständigen. Dabei wird auch bewusst, dass Unsägliches („Mensch“, „Kunst“) zur Bedingung von Kultur werden kann, andererseits das Begreifen in der Welt in der Präzision der Zahl, der Messbarkeit ihre Grenzen hat, die Wissenschaft die Welt deshalb eher ergründen, verstehen, deuten, erklären muss. Dies gilt insbesondere gegenwärtig für das „Wachstum“, das nicht nur als prozentuale Veränderung der Wirtschaftsleistung innerhalb eines Zeitraumes gemessen werden darf, sondern als nachhaltige Entwicklung von Lebensqualität, des Heranwachsens der nächsten Generation, der wachsenden Kraft von Lebensklugheit und Lebensempfehlungen gedeutet werden muss.
Unsere Naturwissenschaftlich-mathematische Klasse sagt dem Menschen mit ihrem Erfahrungswissen, wie er das, was er tun will, tatsächlich tun kann. Die Philosophisch-historische Klasse antwortet mit ihrem Orientierungswissen auf die Frage, was der Mensch tun soll, tun darf.
Dabei ist bewusst, dass die wissenschaftlich-rationale Frage nach Ursache und Wirkung, nach Versuch und Irrtum, nach historischem und philosophischem Deuten der Welt auf Erfahrung und Experiment baut, aber auch auf Lebenssicht und Lebensklugheit des Einzelnen, seinen Hoffnungen und Einschätzungen, Leitbildern.
Die „voraussetzungslose und wertfreie“ Wissenschaft unterwirft sich nicht gesellschaftlichen und politischen Wünschbarkeiten, ereignet sich aber selbstverständlich nicht ohne Voraussetzung und nicht ohne Werte. Der Atomphysiker darf sein Spaltexperiment nicht an beliebigem Ort machen, der Arzt seine Menschenexperimente nicht ohne Rücksicht auf den betroffenen Patienten, der Historiker seine Geschichtsdeutung nicht ohne Verpflichtung auf das tatsächliche historische Wissen.
Erfahrungs- und Orientierungswissenschaften könnten gegenwärtig in der von der Akademie erschlossenen historischen Formel vom Handeln „nach bestem Wissen und Gewissen“ einen Maßstab für Erkennen und Wollen entfalten, aus dem ein gemeinsamer Wille zu einem einvernehmlich Besseren entstehen mag.
Wenn der innere Zusammenhalt der Gesellschaft, die gegenseitige, gemeinschaftsstiftende Verbundenheit heute einer individuellen Freiheitlichkeit zu weichen scheint, die Kultur von kultureller Vielfalt und Migrationsbewegungen geprägt ist, wird das Gespräch zwischen den Mitgliedern der Heidelberger Akademie und den jungen Wissenschaftlern umso dringlicher. Grundsatzbegriffe unserer Kultur sind zu klären: die Idee der Gleichheit und des Sozialen, der Gedanke der Freiheit, die Bedingungen des Vertrauens, die Reichweite der Vernunft, die Friedenssicherung. Alle Mitglieder der Akademie verfügen über Kulturerfahrung, über Umbrucherfahrungen, die sie gerne mit jungen Wissenschaftlern teilen, dabei aber zugleich die Erfahrungen und Lebenssichten der jungen Wissenschaftler in ihr Erkennen und Ergründen aufnehmen.
Das große Bild der Kulturgemeinschaft setzt sich aus vielen Mosaiksteinchen zusammen. Wissenschaftliche Akademien können den einen oder anderen dieser Steine entdecken, für das Gesamtbild polieren, seinen Standort im Gesamtwerk vorschlagen. Dabei bleiben die Akademien bescheiden, stellen einen elitären Anspruch allenfalls an sich selbst. Die Akademien haben die Chance, in Zeiten kultureller Umbrüche Wegweisungen zu einer besseren Welt zu geben, den gemeinsamen Willen zu diesem Besseren zu fördern und zu pflegen. Dieser Gegenwartsauftrag der Akademien ist fordernd, beunruhigend, faszinierend, unverzichtbar.


Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Kirchhof studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Freiburg und München. Von 1975 bis 1981 war er ordentlicher Professor für Öffentliches Recht und Direktor des Instituts für Steuerrecht der Universität Münster. Von 1976 bis 1978 war er Prorektor der Universität Münster und Stellvertreter des Rektors. Seit 1981 lehrt er als Ordentlicher Professor für öffentliches Recht an der Universität Heidelberg und ist Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht der Universität Heidelberg. 1984 und 1985 war er Dekan der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg und von 1987 bis 1999 Richter des Bundesverfassungsgerichts. Von 2000 bis 2011 leitete er die Forschungsstelle Bundessteuergesetzbuch beim Institut für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. 2000 ist er zum ordentlichen Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften gewählt worden und 2013 zu ihrem Präsidenten. Ebenfalls in diesem Jahr ist er von der Universität Heidelberg zum „Seniorprofessor distinctus“ ernannt worden.

Das Grußwort zur Jahresfeier wird der Präsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, Prof. Dr. Dr. h.c. Günter Stock, sprechen. Der Alt-Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Prof. Dr. Dr.-Ing. e.h. Hermann H. Hahn wird in einem Rechenschaftsbericht über die wissenschaftlichen Tätigkeiten und Aktivitäten der Akademie seit der letzten Jahresfeier sprechen.

Die Sekretare beider Akademieklassen (Prof. Dr. Bernhard Zimmermann von der Philosophisch-historischen und Prof. Dr. Thomas W. Holstein von der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse) werden vier herausragende junge Wissenschaftler mit Preisen auszeichnen. Dieses Jahr geht der Akademiepreis an Dr. Johannes C. Bernhardt aus Mannheim, der Karl-Freudenberg-Preis an Dr. Daniela Mauceri aus Heidelberg, der Walter-Witzenmann-Preis an Dr. Chris Thomale aus Freiburg und der Umweltpreis der Sigrid-und-Viktor-Dulger-Stiftung (vormals Sigrid-und-Viktor-Dulger-Preis) an Dr. Melanie Darcis aus Stuttgart.

Musikalisch wird eine Erstaufführung von Ignaz Holzbauer (1711-1783) zu hören sein, die von der Forschungsstelle „Südwestdeutsche Hofmusik“ extra für die Jahresfeier erarbeitet und vom „Kurfürsten-Quintett“ einstudiert wurde. Es spielen: Hans-Joachim Berg und Susanne Zippe (Violine), Johanna Brückner, Christiane Schmidt (Viola) und Gesine Petersmann (Violoncello).

Über Ihre Berichterstattung würden wir uns freuen.

Datum: 25. Mai 2013
Beginn: 11:00 Uhr
Ort: Universität Heidelberg, Alte Aula, Grabengasse 1


Weitere Informationen finden Sie im Internet unter:
www.haw.uni-heidelberg.de/veranstaltungen/termine.de.html#heute


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Dr. Herbert von Bose
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